Als Pilger in Nepal unterwegs

Reise nach Halesi / 27. Februar 2023

Die Reise geht von Kathmandu nach Halesi, das für seine verschiedenen Höhlen bekannt ist, welche von den tibetischen und lokalen Buddhisten sowie Hindus gleichermassen verehrt werden. Die Fahrt im überfüllten Jeep und auf Strassen, welche vergeblich auf eine längst fällige Reparatur warten, ist ermüdend und die Reisenden sind erleichtert, wenn sie im kleinen Bergdorf Halesi eintreffen. Besonders die letzte Strecke bietet den Reisenden aber auch Aussichten auf wunderschöne Landschaften, besonders dem Sunkoshi («Goldfluss») und dem Dudhkoshi («Milchfluss») entlang. Schliesslich führen die letzten fünfunddreissig Kilometer über eine mit Schlaglöchern übersäte, enge Strasse, die sich an tiefen Abgründen und an steilen Hängen klebenden Bauernhäusern vorbei immer weiter den Berg hinaufschlängelt. Nach etwa acht Stunden Fahrt war das Ziel erreicht.

Nach der Ankunft besuchte ich den tibetischen Tempel, die Majusri Höhle und den Bazar mit einigen kleinen Restaurants und Läden, welche Waren für den täglichen Bedarf verkaufen. Zudem warf ich einen ersten Blick von oben auf die Maratika Höhle.

Ich nahm es als glückverheissendes Omen, als es in der ersten Nacht ein sintflutartiges, von Donnern und Blitzen begleitetes Gewitter gab – der erste Regen nach sechs Monaten. Es war wie eine Erlösung für Mensch und Natur, welche nach dem letzten Monsun eine lange Durststrecke durchmachen mussten und arg unter der Wasserknappheit litten.

Es ist angenehm aus dem staubigen und eng überbauten Kathmandu Tal heraus zu sein, sich im Fluss der frohen Pilger treiben zu lassen und etwas frische Landluft zu schnuppern. Es ist zudem hilfreich, dass ich in den letzten zweieinhalb Wochen in einem Crash Kurs in Boudhanath das Nepali auffrischen konnte; es lebt sich unbeschwerter und die Leute sind offener und freundlich, wenn sie es mit einem Nepali sprechenden «Bideshi» (Ausländer) zu tun haben.

Besuch der verehrten Höhlen / 28. Februar 2023

Im Folgenden werde ich die Maratika Höhlen aus buddhistischer Perspektive beschreiben. Bereits in den 80-er Jahren war es mein Wunsch gewesen, einmal diesen Pilgerort zu besuchen. Damals wäre er jedoch nur durch einen drei- bis viertägigen Fussmarsch zu erreichen gewesen. Heute, etliche Jahre später, freue ich mich, endlich die verehrten Höhlen und die nähere Umgebung erkunden zu dürfen.

In Halesi hat sich der Tantriker Padmasambhava, der “Lotusgeborene” (8. und 9. Jahrhundert), mit der indischen Prinzessin und spirituellen Gefährtin Mandarava in verschiedenen Höhlen aufgehalten, weshalb sie von Pilgern aus dem ganzen Himalayagebiet und auch aus dem Ausland besucht werden. Es ist einer der vielen Kraftorte, welche mit seiner Lebensgeschichte verknüpft sind.

Viele der von ihm besuchten Orte und der damit verbundenen wundersamen Geschehnisse sind legendär. Dank seinen magischen Kräften gelang es ihm, in weiten Gebieten des Himalaya und Tibets die feindlichen Geister und Dämonen zu unterwerfen und diese fortan als Beschützer der buddhistischen Lehre gefügig zu machen. Dank seinem Wirken konnte sich der Buddhismus in Tibet endgültig etablieren. Samye, das erste Kloster Tibets, welches in der Form eines Mandala gebaut wurde, geht auf ihn zurück.

Der Aufenthalt Padmasambhavas in den Maratika Höhlen wird erstmals in seiner Lebensgeschichte aus dem 12. Jahrhundert bezeugt. Danach meditierten hier Padmasambhava, von den Tibetern auch Guru Rinpoche genannt, und seine Gefährtin Mandarava an verschiedenen Orten und begeneten Amitayus, dem Buddha des unendlichen Lebens. Hier ein Auszug aus der Webpage der “Foundation for the Preservation of the Mahayana Tradition” über die Geschichte und die Bedeutung der Maratika Höhlen:

Laut dem verstorbenen Oberhaupt der Nyingma-Schule des tibetischen Buddhismus, Dilgo Khyentse Rinpoche, ist Maratika … einer der sechs heiligsten Orte der Welt. Vor einigen Jahren schrieb Lama Zopa Rinpoche: „In der Maratika-Höhle, wo Guru Rinpoche unsterbliche Verwirklichung fand, können alle Ihre Gebete erfolgreich sein.“

Alte Schriften berichten, dass Maratika vor langer Zeit von den drei Buddhas – Manjushri, Chenrezig und Vajrapani – gesegnet wurde. Aufgrund dieses Segens ist jede Übung, die (hier) durchgeführt wird, hundertmal mächtiger als die Übungen, die an anderen Orten ausgeführt werden. Es wird auch gesagt, dass achtzehn Langlebens-Tantras – zusammen mit anderen Lehren, die von Buddha Amitabha in Sukhavati auf Wunsch von Chenrezig gelehrt wurden – von Dakinis in symbolischer Schrift unter Verwendung von reinem Gold niedergeschrieben und in einer juwelenbesetzten Schatulle in den Höhlen dieses heiligen Ortes versteckt wurden. Dies macht Maratika zu einem besonders kraftvollen Ort für alle Arten von Praxis und besonders für solche, die Hindernisse im Leben beseitigen.

Seit der Antike haben Generationen großer buddhistischer Meister und Praktizierender die heilige Reise unternommen, um in den Höhlen zu praktizieren. Am bekanntesten ist, dass … Padmasambhava den Segen dieser Höhlen für seine Praxis der Langlebigkeit mit Prinzessin Mandarava suchte. Nachdem er sich drei Monate lang mit der Langlebenspraxis beschäftigt hatte, erschien Buddha Amitayus vor dem Guru und der Weisheitsmutter (Mandarava) und stellte eine Vase mit langlebigem Nektar auf ihre Kronen, um Ermächtigungen zu gewähren. Nachdem sie den Nektar getrunken hatten, erreichten sie den Zustand des unsterblichen Lebens, frei von Geburt und Tod.

Zitiert aus: https://fpmt.org/in-depth-stories/maratika-story/

Die untere Höhle der Acht Herukas

Im Vergleich zu den anderen Höhlen ist die untere Höhle die grösste und eher ruhig. Der Eingang der Acht Herukas Höhle liegt am Fusse des Avalokiteshvara Hügels, an seiner westlichen Seite.

Nahe beim Eingang gibt es ein Loch in der Felswand, die sogenannte “Schildkröten Muschel”, welche einen durchdringenden Ton verursacht, wenn man hinein bläst. Das wichtigste an diesem Ort jedoch ist, dass hier Padmasambhava eine Dämonin unterworfen und eine grosse Öffnung in die Decke der Höhle gesprengt hat, welche als “Himmelstor” bekannt ist. Durch die Öffnung ist er in den Himmel geflogen, nachdem er zwei grosse Fussabdrücke und weitere Zeichen im Fels hinterlassen hat. Er soll auch verschiedene verborgene Schätze (Termas) in der Form von Schriften hinterlassen haben. Eine besondere Stelle, an welcher Padmasambhava meditiert hat, wurde mir von einem Lama gezeigt, welcher selbst schon seit über drei Jahren in der Höhle verweilt und praktiziert.   

Es ist wohl der friedvollen Atmosphäre in der geräumigen oberen Ausdehnung der Höhle zu verdanken, dass sich hier verschiedene ernsthaft Praktizierende eingefunden haben – tief unter der Erdoberfläche, fern vom Getriebe der geschäftigen Welt und beschützt vom Lotusgeborenen, dessen Gegenwart noch immer zu spüren ist.

Am Tag von Padmasambhava / 1. März 2023

Heute, am 10. des tibetischen Monats, ist der Tag von Padmasambhava, an welchem er zum ersten Mal Tibet betrat. Er wird vor allem von den Nyingmapas gefeiert, welche sich auf ihn berufen. Die Nyingmapas werden auch die “Älteren” genannt, da sie mit ihrer Tradition die ältesten Lehren des tibetischen Buddhismus bewahren und praktizieren. Das wundersame Wirken von Padmasambhava in den Höhlen von Halesi hatte eine starke Etablierung der Nyingmapas vor Ort zur Folge. Ihnen gehören die beiden dominierenden Klöster mit über 50 Mönchen.

Kloster bei Maratika Höhle auf dem Avalokiteshvara Hügel

Am Tag des Padmasambhava kam Leben ins kleine Dorf Halesi. Viele Pilger waren bereits am Abend davor angereist. Hohe Lamas und Rinpoches, viele lokale Pilger, eine grosse vietnamesische Gruppe und einige westliche Pilger hatten den Weg durch das endlos scheinende Hügelgebiet Ostnepals hierher gefunden.

Die obere Maratika Höhle

Die obere Maratika Höhle gilt als die wichtigste der verschiedenen Höhlen, war es doch hier, dass Amitayus, der Buddha des langen Lebens, dem Lotusgeborenen und seiner spirituellen Gefährtin Mandarava erschien. Er segnete die beiden und verlieh ihnen, wie bereits erwähnt, den Zustand der Unsterblichkeit.

Der Zugang erfolgt durch eine tiefe Öffnung im Berg. Treppen führen hinunter ins Heiligtum der Höhle, in welcher bizarre Gesteinsformationen und Stalagmiten im Licht der Lampen ihre Schatten werfen. Heute wird sie von einem stetigen Strom von Pilgern belebt, welche die wichtigsten Stellen besuchen und ihre Andacht verrichten. Besonders verehrt wird der Stein, welcher die Vase mit dem Nektar der Unsterblichkeit (Amrita) verkörpert. Im Fels sind zudem Abdrücke der Körper von Padmasambhava und Buddha Amitayus zu sehen. Es gibt auch vier Löcher in den Gesteinsformationen. Wer durch diese Löcher schlüpfen kann, erreicht eine Verbesserung des Karma und sichert sich eine bessere Wiedergeburt. Als Dank für die verschiedenen Segnungen, welche die Pilger auf ihrem Weg erfahren, hinterlassen sie eine Spur von Opfergaben wie Blumen, Räucherwerk, rotes Farbpulver, Kerzen oder Butterlämpchen. Dazu kommen unzählige Gebete, stille oder hörbar gemurmelte, allein oder in Gruppen gesprochene – es ist wie ein grosser, unaufhörlicher Chor, in welchem alle trotz verschiedener Herkunft und Anliegen vereint sind.

Besuch in der Manjushri Höhle / 3. März 2023

Manjushri wacht über das Tal

Die Manjushri Höhle liegt in einem senkrecht abfallenden Felsen und kann nur über Leitern erreicht werden. Es wird überliefert, dass sich Padmasambhava zur Meditation hierher zurückgezogen hat. Sie ist sehr klein und bietet nur zwei bis drei Personen Schutz. Wer den Aufstieg zur Höhle durch ein Labyrith von Gebetsfahnen, entlang einer Reihe von Ständen mit Butterlämpchen und über die Leitern geschafft hat, dem bietet sich eine weite Aussicht über das Tal und die umliegenden Hügel. Im Inneren der Höhle befindet sich eine mit Goldplättchen verzierte Steinstatue von Manjushri, dem Bodhisattva der Weisheit. In der einen Hand trägt er das Schwert, mit welchem er die Unwissenheit zerstört, und auf einer Lotosblüte, die seiner anderen Hand entspringt, liegt das Buch der Weisheit. Die Weisheit und das Mitleid mit allen Wesen, verkörpert durch den Bodhisattva Avalokitesvara, sind die wichtigsten Tugenden des tibetischen Buddhismus. Sie scheinen mir in der heutigen Welt so wichtig wie noch kaum zuvor zu sein. Besonders für Entscheidungsträger könnten sie zu einer wohltuenden Grundlage ihres Handelns werden. Seine Heiligkeit, der 14. Dalai Lama sagt es mit folgenden Worten:

Menschen mit Einfluss brauchen die Lehre mehr

als ein Einsiedler in der Abgeschiedenheit.

Wenn ein Einsiedler mit schlechter Motivation handelt

verletzt er niemanden ausser sich selbst.

Aber wenn jemand, der direkten Einfluss auf die Gesellschaft hat,

mit schlechter Motivation handelt,

dann wird einer grossen Anzahl von Menschen Schaden zugefügt.

Rückreise nach Kathmandu / 4. März

Die Rückreise verlief um einiges schneller, aber nicht minder aufregend als die Hinreise. Es ergab sich die Gelegenheit in einem kleinen Helikopter zurückzufliegen, mit dem einige chinesische Damen nach Halesi gereist waren. Um nicht leer nach Kathmandu zurückzukehren, wurden die freien Sitze weit unter dem normalen Preis angeboten.

Auf dem Flug drehte der Pilot plötzlich ab und visierte einen bewaldeten Kamm an, den wir knapp überflogen. Nach einer engen Kurve erblickten wir auf einem Hügel ein grosses Kloster, dessen Tempeldächer in der Sonne golden leuchteten. Es war das Kloster von Namo Buddha, das sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt hat. Hier hatte sich Buddha in einem seiner früheren Leben einer entkräfteten Tigermutter geopfert, damit sie weiter ihre Jungen säugen und aufziehen konnte.

Das Kloster von Namo Buddha aus der Luftperspektive