Meditation im Fokus der Naturwissenschaften

Hervorgehoben

Die amerikanischen Wissenschaftler und New York Times Bestsellerautoren Goleman und Davidson (2017) haben durch ihre Forschung gezeigt, welche physischen und mentalen Veränderungen durch Meditation möglich sind. Beide hatten in den frühen 70er Jahren selbst einige meditative Erfahrungen in Indien gemacht. Angespornt durch diese Erfahrungen teilte Goleman 1974 seinem Harvard Professor mit, dass er sich in seiner Dissertation auf die Meditation fokussieren wolle. Dieser teilte ihm trocken mit, dass dies das Ende seiner akademischen Karriere bedeuten würde. Trotzdem blieb der Forscher seinem Interesse treu, auch wenn er diesbezüglich anfangs etwas unter dem Radar des akademischen Mainstreams flog. Bei Davidson war es vor allem der Dalai-Lama, welcher ihn motivierte, weniger die Ursachen von Neurosen, sondern eher diejenigen von positiven Geisteszuständen wie Mitgefühl mit anderen Lebewesen zu studieren. Dies brachte ihn dazu, sich eingehend mit den Auswirkungen der Meditation zu beschäftigen.

Das Interesse der beiden Wissenschaftler fiel mit einem wachsenden Trend zusammen, denn in den folgenden Jahrzehnten konnte sich die Erforschung der Veränderungen im menschlichen Körper und Geist durch Meditation zu einem eigentlichen Forschungszweig in der Hirnforschung («contemplative neuroscience») durchsetzen und die Anzahl der Publikationen nahm in einem hohen Ausmass zu:

In the 1970s, when we began publishing our research on meditation, there were just a handful of scientific articles on the topic. At last count there numbered 6’838 such articles, with a notable acceleration of late (Goleman & Davidson, 2017, 14).

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Goleman und Davidson (2017) sind in ihrer Deutlichkeit für viele überraschend. Sie zeigten, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen den in der Meditation wahrnehmbaren geistigen Zuständen und Prozessen und den untersuchten Hirnfunktionen gibt, was durch die Messung und Analyse von Gehirnströmen mittels Elektroenzephalografie (EEG) und die Untersuchung von Querschnittbildern des Gehirns durch Computer Tomographie konkret nachgewiesen werden kann. Je nach Art der Meditation und Dauer der Praxis (Stunden, Tage, Monate oder Jahre) ergeben sich entsprechende Resultate. Bei intensiver und längerfristiger Meditationspraxis verändern sich bestimmte Bereiche des Gehirns, sie können sich stärker ausformen und wachsen. Es lässt sich vergleichen mit einem Muskel, der umso stärker wächst und leistungsfähiger wird, je mehr wir ihn benutzen.

Goleman und Davidson erwähnen, dass nicht alle Studien über Meditation den wissenschaftlichen Kriterien standhalten: «After careful sifting, only 3 percent (that’s the 47 in the analysis) of the studies proved sufficiently well designed that they could be included in the review» (2017, 94). Selbst wenn wir jedoch nur die Resultate der ernst zu nehmenden Studien berücksichtigen, dann ergibt sich immer noch eine Flut von Resultaten, welche für die Wissenschaft wertvoll sind. Hierzu einige Beispiele: Schüler, welche einen zweiwöchigen Kurs in Achtsamkeit des Atmens («mindfulness of breathing») absolviert hatten, erreichten bei den nachfolgenden Eintrittsprüfungen für die Universität zu 30% bessere Noten als Schüler der Kontrollgruppe ohne Meditationserfahrung (Goleman & Davidson, 2017, 139). Verbesserte Achtsamkeit führt auch zu höherem emotionalen Wohlgefühl, einer gesteigerten Aufmerksamkeit bei Tätigkeiten des täglichen Lebens und zu einem deutlich gesteigerten therapeutischen Erfolg bei Depressionen – um nur einige weitere Vorteile zu nennen.

Im Dschungel der Neuronen

Während bereits kürzere, tägliche Meditationssitzungen zu erstaunlichen Resultaten führen können, ist der Erfolg bei Langzeitmeditierenden naturgemäss umso grösser. Was bei Anfängern noch viel Geduld und Anstrengung erfordert, um eine verbesserte Achtsamkeit und Konzentration zu erreichen, fällt dem oder der erfahrenen Meditierenden bedeutend leichter, so wie eine erfahrene Violinistin auch schwierige Passagen mit einer gewissen Leichtigkeit und spontanen Virtuosität spielen kann. Eine nachhaltige Verbesserung der mentalen Fähigkeiten kann jedoch nur durch eine kontinuierliche Praxis erreicht werden. Goleman und Davidson (2017) verdeutlichen den Zusammenhang zwischen der Intensität der Meditationspraxis und den resultierenden mentalen Fähigkeiten, indem sie verschiedene Kategorien von Meditierenden in Studien miteinander vergleichen: Eine mögliche Unterscheidung ist diejenige zwischen:

  • Anfängern, welche mit der meditativen Praxis erst begonnen haben oder bereits einen oder mehrere Kurse besucht haben,
  • fortgeschrittenen Praktizierenden mit mindestens 1’000 Stunden Meditationserfahrung (bei 8 Stunden formeller Meditation pro Tag, wie es in Meditationskursen oft der Fall ist, ergibt das 125 Tage oder rund 4 Monate intensive Praxis)
  • und sehr erfahrenen Meditierenden mit 10’000 und mehr Stunden Praxis (bei 8 Stunden formeller Meditation pro Tag ergibt das 1’250 Tage oder mehr als 3 Jahre intensive Praxis). Eine bekannte Dauer eines Langzeitretreats bei den Tibetern ist 3 Jahre, 3 Monate, 3 Tage.  Es gibt Yogis, welche bereits mehrere solcher Retreats absolviert haben.

Langzeitmeditierende zeichnen sich durch erstaunliche mentale Fähigkeiten und besondere Veränderungen der Gehirnstruktur und Gehirnfunktionen aus. Bei einem Versuch mit tibetischen Yogis mit weit über 10’000 Stunden Meditationspraxis machten Richard Davidson und Antoine Lutz eine bahnbrechende Beobachtung: Bei den Yogis konnte mithilfe der Elektroenzephalografie (EEG) eine viel höhere Intensität bei den Gamma Gehirnwellen als bei der Kontrollgruppe (ohne Meditationserfahrung) gemessen werden:

The contrast between the yogis and controls in the intensity of gamma was immense: on average the yogis had twenty-five times greater amplitude gamma oscillations during baseline compared with the control group.

We can only make conjectures about what state of consciousness this reflects: yogis like Mingyur (Rinpoche) seem to experience an ongoing state of open, rich awareness during their daily lives, not just when they meditate. The yogis themselves have described it as a spaciousness and vastness in their experience, as if all their senses were wide open to the full, rich panorama of experiences (Goleman & Davidson, 2017, 233).

Der Nachweis, dass sich das Gehirn durch Meditation verändern kann, was mit einer verbesserten Leistungsfähigkeit einhergeht, hat im Westen geholfen, die Meditation aus der Ecke der obskuren, esoterischen Praktiken hervorzuholen und gesellschaftsfähiger zu machen. Die grössere Akzeptanz wurde auch durch angepasste, von religiösen Attributen und Werten befreite Angebote geschaffen. Heute ist Meditation, insbesondere die Achtsamkeitsmeditation, wie Yoga zum Lifestyle Hype geworden. 2017, im selben Jahr wie die Publikation des erwähnten Buches von Goleman und Davidson, prangte auf einer der Titelseiten der populären deutschen Zeitschrift Stern die Überschrift: «Stark durch Meditation. Wie Millionen Menschen mit ihr besser leben. Und wie man sie ganz einfach lernen kann.» 

Für die Vermarktung von Achtsamkeit wurde von Kritikern der Begriff «McMindfulness» geprägt, welcher sich auf die Aneignung, Zertifizierung und den Vertrieb einer buddhistischen Methode bezieht, wobei der ursprünglich buddhistische Hintergrund ausgeblendet wird. Bei der breiten Propaganda auf verschiedenen Ebenen, von wissenschaftlichen Artikeln bis hin zu feuilletonistischen Artikeln und Fernsehsendungen, war es nur ein kleiner Schritt bis zur Entwicklung von Achtsamkeits-Apps, welche mit vielversprechenden Titeln eine Persönlichkeitsoptimierung versprechen. Wer unter «Achtsamkeits-Apps» googelt, findet am 13. Oktober 2022 immerhin über 2’210’000 Ergebnisse.

Das bekannteste Achtsamkeitsprodukt ist die «Mindfulness-Based Stress Reduction» (MBSR), welche mit «Stressbewältigung durch Achtsamkeit» übersetzt wird. Die Methode ist vom amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn entwickelt worden und enthält Elemente aus der buddhistischen Meditation, dem Yoga sowie aus psychotherapeutischen Methoden. Sein Buch «Gesund durch Meditation» (Kabat-Zinn, 2013) ist weltweit bekannt geworden. Die zugrundeliegende MBSR Methode wird durch ein zertifiziertes Lehrangebot verbreitet. Ausgehend von guten Erfolgen mit schwerkranken Menschen in Spitälern, wurde die Methode – im Originaltitel wurde sie zutreffender Weise als «Full Catastrophe Living» bekannt – zunehmend auch in anderen Bereichen angewandt. Gerade im Gesundheitswesen war MBSR für Schwerkranke eine grosse Hilfe, aber auch für das behandelnde Personal, welches oft nicht das notwendig Rüstzeug besass, um mit dem mentalen Leiden und den physischen Schmerzen der Patientinnen und Patienten angepasst umzugehen. Ganz allgemein soll mit MBSR die eigene Achtsamkeit mit dem Ziel gefördert werden, im Alltag bewusst mit Stress, Ängsten und Problemen umgehen zu können. MBSR wird vor allem in den USA und in verschiedenen Ländern Europas vermittelt, hat aber auch den Weg zurück nach Indien, dem Ursprungsland der Achtsamkeitsmethode, gefunden.

Die Vermarktung der angepassten, standardisierten Achtsamkeitsprodukte (therapeutische Angebote und Apps) funktioniert nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ob sie alle halten, was sie versprechen, wird sich in der Zukunft zeigen.

Bei allem Respekt vor hart erarbeiteten wissenschaftlichen Resultaten in der Hirnforschung – welche nur respektiert werden, wenn sie auch messbar sind – erstaunt doch etwas, wie wenig die subjektiv erfahrbaren Erlebnisse und Einsichten der Meditierenden in die Studien mit einbezogen wurden. Die beiden buddhistischen Meditationsarten Samatha und Vipassanā sind mittlerweile seit rund 2’500 Jahren von unzähligen Meditierenden praktiziert und eingehend dokumentiert worden. Dazu gibt es erklärende Lehrreden und systematische Abhandlungen. Wenn die Perspektive erweitert wird und die Auswirkungen von Meditation auf das menschliche Leben aus Sicht der Praktizierenden beleuchtet werden, brauchen letztere die Erkenntnisse der Hirnforschung natürlich nicht. Sie wissen auch ohne quantifizierbare Forschungsergebnisse der Gehirnforschung, dass Meditation zu wahrnehmbaren Resultaten führt. Thupten Jinpa Langri, welcher Mönchsgelehrter, Übersetzer des Dalai Lama und namhafter Wissenschaftler ist, bringt es in einem Interview auf den Punkt:

For practicing Buddhists, why would you need third-person proof to show that your own practice is helping you? In the end, when it comes to spiritual practice, you are your own best proof. Individual practitioners can understand from their own personal experience that practice is helping them to be more understanding, to be more open, to be more at home with others, or to have a greater sense of ease. From my … point of view, these effects are much more powerful as a source of motivation than a scientific study that uses a scanner to show that when you meditate, things happen in your brain. Why would that help you? (Heuman, 2014, 121-22).

Die gehirnwissenschaftliche Perspektive basiert vorwiegend auf der reduktionistischen Annahme, dass sich geistige Phänomene auf neuronale Prozesse im Gehirn zurückführen lassen. Roth, Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologe am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen, sagt:

Wir müssen Geist und Bewusstsein als einen physikalischen Zustand ansehen, denn sonst könnten sie nicht mit den physikalischen Zuständen des Gehirns wechselwirken, was sie eindeutig tun. Die physikalischen «Bausteine» des Geistes sind bisher unbekannt, aber das ist bei der Gravitation auch der Fall (2021, 340).

Bei der Wahrnehmung von äusseren oder inneren Objekten handelt es sich um einen subjektiv erfahrbaren Prozess. Wenn wir beispielsweise den Geruch von Kaffee riechen, sind wir uns dessen bewusst, ohne zu wissen, dass etwas im Gehirn abläuft. Ebenso verhält es sich mit den anderen Sinneswahrnehmungen wie dem Sehen, Hören, Riechen, Tasten und Schmecken. Die Sinneswahrnehmungen und das Bewusstsein davon werden nicht als physikalische Zustände empfunden, sondern als subjektive Erfahrungen, auch wenn korrelierende physische Prozesse offensichtlich sind. Um weiter Licht in die Natur der physischen und geistigen Phänomene und ihre Interdependenz zu bringen, schlagen Ricard und Thuan einen vertieften Dialog zwischen Wissenschaftlern und praktizierenden Buddhisten vor, einen Dialog, wie sie ihn im Buch “The Quantum and the Lotus” (2001) vorgegeben haben. Darin schreibt Ricard:

To my mind, the most fascinating part of this confrontation between natural sciences and Buddhism is in the analysis of the ultimate nature of things. I have learned a lot from our conversations. They have forced me to confront new questions concerning our two disciplines – particularly when it comes to the nature of consciousness and the interdependence of phenomena, which lies at the heart of both modern physics and Buddhist teachings. The nature of consciousness remains a fascinating subject. Can it be totally reduced to the brain? Is it a phenomenon that emerges from matter? Can it – as Buddhism thinks – only be born from preceding instants of consciousness and continue without a physical framework? Buddhist contemplatives speak of different levels of consciousness, which they have defined according to genuine introspective experiments. Their method deserves to be studied by researchers who base their work on science’s empirical approach. Until recently, the lack of contemplative experience by most scientists who have investigated the workings of the mind has led nowhere in understanding the nature of consciousness. From a Buddhist perspective, it seems much more reliable and informative to train the mind to investigate itself, since it thus has direct access to mental events and to its ultimate nature, than to monitor from the outside the corresponding activities of the brain (Ricard & Thuan, 2001, 269).

Als erhellender Dialog zwischen dem renommierten Gehirnwissenschaftler Wolf Singer, dem ehemaligen Direktor der Abteilung für Neurophysiologie am Max-Plank-Institut für Hirnforschung, und dem buddhistischen Mönchsgelehrten und studierten Molekularbiologen Matthieu Ricard, sei hier auch die Publikation über “Gehirnforschung und Meditation” (Singer & Ricard, 2008) erwähnt.

Der Mathematiker und Philosoph David Chalmers ist ein bedeutender Kritiker des etablierten Materialismus in der Hirn- und Bewusstseinsforschung. Seiner Ansicht nach gibt es ein schwieriges Problem des Bewusstseins, das sogenannte «hard problem», weil sich nicht erklären lässt, wie physikalische Prozesse des Gehirns bewusste, subjektive Erfahrungen erzeugen können. Obwohl Wissenschaftler beginnen, sich vermehrt mit dem Bewusstsein zu beschäftigen, bleiben sie meistens auf der Ebene von reduktionistischen Korrelationen, ohne eine vollständige Erklärung des Phänomens geben zu können. Gemäss Chalmers könnte es sich beim Bewusstsein jedoch um ein noch unbekanntes, fundamentales Element handeln, wie Raum, Zeit und Masse in der Physik. Er vertritt die gewagte Annahme («crazy idea»), dass die fundamentale Natur des Bewusstseins universal allen Phänomenen zugrunde liegen könnte. Diese Art von «Panpsychismus» ist die Grundlage für eine andere Sichtweise in der Bewusstseinsforschung und für ein neues Menschenbild. Bewusstsein ist demnach das Element, welches dem Materiellen Leben einhaucht. Es ist anzunehmen, dass die Entschlüsselung des Bewusstseins auf der Grundlage des Panpsychismus, falls das Ziel überhaupt erreicht werden kann, noch viele Jahre brauchen wird. Chalmers hat viele Artikel und einige Bücher zum Thema Bewusstsein geschrieben. Für einen Einstieg in die Thematik sei auf folgendes Video (“Hard Problem of Consciousness”) verwiesen: https://www.youtube.com/watch?v=C5DfnIjZPGw&t=155s&ab_channel=SeriousScience

Die Frage, ob Körper und Geist verschiedene Substanzen sind, ist uralt. Bei philosophischen Traditionen und Religionen, welche von einer Dualität von Körper und Geist ausgehen, gibt es eine Vielzahl von Hypothesen, was die Natur der beiden Entitäten angeht und wie sie sich zueinander verhalten.

In den Lehrreden Buddhas kommt das Thema von Körper und Seele ebenfalls vor. Auf die Fragen «Ist die Seele (jīva) das gleiche wie der Körper?» und «Ist die Seele eine Sache und der Körper eine andere?» hat sich Buddha nicht eingelassen (Majjhima Nikāya 63). Buddhas Haltung gegenüber philosophischen und weltanschaulichen Spekulationen fasst der kanadische Mönchsgelehrte Punnadhammo Mahāthero folgendermassen zusammen:

The Buddha’s teaching is always first and foremost a practical one. The emphasis is not on metaphysical determinations about ultimate reality, but about how we can liberate ourselves from the suffering of the conditioned world. This means that the subjective side of the question must take priority. Ultimate reality may be an undecidable issue but we can ask, what is real for the observer? (2018, 705).

Ausgehend von den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften über Meditation habe ich versucht, einige der sich ergebenden Positionen und Fragen zu formulieren. Dieser Versuch bietet keinesfalls ein vollständiges Bild, kann jedoch einen Einblick geben, wo wir gegenwärtig in der Debatte stehen. Es ist zu hoffen, dass sich die Dynamik des Dialogs weiter entwickeln und zu weiteren Erkenntnissen führen wird. Der Blog-Beitrag über die Vipassanā Meditation (derzeit noch in Bearbeitung) soll die Aussensicht der Naturwissenschaften durch eine Innensicht praktizierender Buddhisten ergänzen.

Literatur

Chalmers, D.J. (2016). Hard Problem of Connsciousness. Serious Science, Video:  The Hard Problem of Consciousness – Serious Science (serious-science.org)

Goleman, D. & Davidson, R. J. (2017). Altered Traits: Science Reveals How Meditation Changes Your Mind, Brain and Body. Avery

Heuman. L. (May 2014, 116-133). Under One Umbrella, Can both tradition and science fit? An interview with Thupten Jinpa Langri. In: Shifting the Ground We Stand On: Buddhist and Western Thinkers Challenge Modernity. Essays by Linda Heuman. A Tricycle E-Book.  https://tricycle.org/ebooks/buddhism-science/

Kabat-Zinn, J. (2013). Gesund durch Meditation: Das vollständige
Grundlagenwerk zu MBSR. O.W. Barth Verlag. (6. Auflage, Erweiterte Neuausgabe)

Majjhima Nikāya 63: Cūlamālunkya Sutta, Der Sohn der Malunkya I. https://www.palikanon.com/majjhima/m063n.htm

Punnadhammo, Mahāthero. (2018). The Buddhist Cosmos: A Comprehensive Survey of the Early Buddhist Worldview; according to Theravāda and Sarvāstivāda sources. Arrow River Forest Hermitage. https://www.arrowriver.ca/book/cosmo.pdf

Ricard, M. & Thuan, T. X. (2001). The Quantum and the Lotus, A Journey to the Frontiers where Science and Buddhism Meet. Crown Publishers

Roth, G. (2021). Über den Menschen. Suhrkamp

Singer, W. & Ricard, M. (2008). Hirnforschung und Meditation. Ein Dialog. Edition Unseld, Suhrkamp

Ein Ungar auf der Suche nach dem Ursprung seines Volkes

Vom Bauernjungen zum angesehenen Philologen

Zu unerschrocken und beharrlich haben gewisse Menschen ihr Lebensziel verfolgt, zu abenteuerlich waren ihre unvorhersehbaren Wege, als dass die besondere Bedeutung ihres Wirkens nicht zumindest aufgefallen und manchmal auch bewundert und honoriert worden wäre. Zu diesen Menschen gehörte Alexander Csoma von Körös (1784 – 1842), welcher bereits als Knabe aus dem Rahmen fiel. Sein Cousin Joseph berichtete: «Als Jungen konnten wir nie mit ihm mithalten, weil er niemals zufrieden war, wenn er den Gipfel eines Berges erreichte, immer wollte er wissen, was dahinter war und hinter dem nächsten, und so legte er oft riesige Entfernungen zurück» (zit. nach Fox, 2006, 13). Dieser Forscherdrang war eine treibende Kraft auf seinem Lebensweg, welcher nicht nur in ferne Welten, sondern auch weit über den Horizont der damaligen Wissenschaft hinaus führen sollte.

Doch alles der Reihe nach. Csoma war von der Gemeinde Körös in Siebenbürgen, das im heutigen Rumänien liegt. Hier verbrachte er gegen Ende des 18. Jahrhunderts seine Kindheit und Jugendjahre. Wie die übrigen Einwohner von Körös gehörte auch seine Familie zur ungarisch stämmigen Volksgruppe der Szeklern. Die Familie fristete auf einem kleinen Bauernhof ein entbehrungsreiches Leben, voller Mühen und harter Arbeit. Da Csoma jedoch ein begabter und gewissenhafter Schüler war, hatte er das Glück, nach der Grundschule eine höhere Schulbildung in der Stadt Nagyenyed zu erhalten, in einem Kollegium, welches durch wohltätige Mittel finanziert wurde. Da er aus armen Verhältnissen kam, musste er in den ersten Jahren niedrige Arbeiten verrichten, um etwas Taschengeld zu verdienen. Später, nachdem er mit 23 Jahren erfolgreich das Examen bestanden hatte, konnte er den jüngeren Schülern gegen Entgelt Nachhilfeunterricht geben, was seine Lebensumstände stark verbesserte. Nach dem letzten Examen wurde er mit einem Stipendium für weitere Studien an der Universität Göttingen belohnt. Zu dieser Zeit war er bereits ein gestandener Philologe, der neben Ungarisch weitere Sprachen wie Latein, Griechisch, Hebräisch, Französisch, Deutsch, Rumänisch und Türkisch beherrschte. In Göttingen kamen Englisch und Arabisch hinzu, sowie Grundkenntnisse in Italienisch und Spanisch.

Da die Ungarn zu dieser Zeit unter der gestrengen Herrschaft des österreichischen Reiches litten, gab es einen wachsenden Unmut unter der Bevölkerung. Für die nationalistische Unabhängigkeitsbewegung war die Besinnung auf die eigene Herkunft und Sprache deshalb von grosser Bedeutung (Lussier, 2010, 88). Das Ungarische war ein Mysterium, da es keinerlei Verbindungen zu anderen europäischen Sprachen zu haben schien. Es war naheliegend, dass Csoma sich als Philologe ebenfalls Gedanken über den Ursprung der eigenen Sprache machte.

Die Legende, dass die Ungarn von den Hunnen abstammten, welche im 5. Jahrhundert als heldenhafte Reiter von Osten herkommend nach Europa einfielen, und Attila ihr Heerführer der erste König der ungarischen Nation wurde, bedeutete in diesem politischen Klima eine attraktive Verheissung, der sich Csoma und einige seiner Freunde nicht entziehen konnten (Fox, 2007, 21 und Le Calloc’h, 1985,31). In Csoma reifte allmählich der Plan, die Heimat der Ur-Ungarn und des Ungarischen in Zentralasien zu suchen, obwohl ihm in seiner Heimat zwei Stellen als Lehrer angeboten worden waren und zudem Aussicht auf eine frei werdende Stelle als Professor bestand.

«Dem Wagemutigen hilft das Glück» (Vergil)

Seinem Forscherdrang gehorchend brach er am 19. November 1819 mit leichten Gepäck zu seiner patriotischen Mission auf, nicht ohne vorher mit seinem alten Professor Hegedus mit einem Glas Tokajer auf ein gutes Gelingen angestossen zu haben. Vor Konstantinopel erfuhr er von einer Epidemie, was ihn bewegte, die Reiseroute zu ändern. Er setzte mit einem Schiff von der türkischen Küste nach Alexandria über, um seine Arabisch-Kenntnisse zu verbessern. Jedoch auch in Ägypten wütete eine Epidemie, diesmal die Pest, welcher er wieder entfliehen musste. Zu Fuss, sich ab und zu Karawanen anschliessend, reiste er durch den Nahen Osten. Er war darauf bedacht, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erwecken, und legte seine europäische Identität ab, indem er sich in lokale Gewänder gekleidet als Armenier ausgab. 

In Teheran war er einige Monate zu Gast in der britischen Botschaft, wo er die persische Sprache verbessern und sich auf die gefahrvolle Weiterreise vorbereiten konnte. Es ist wenig über die genaueren Umstände der Reise von Csoma bekannt, da er kein Tagebuch schrieb und keinerlei Aufhebens über sich und seine persönliche Befindlichkeit machte. Es gibt jedoch zwei Briefe, welche er dem britischen Botschafter übergab, adressiert an sein früheres Kollegium in Nagyenyed. Sie lassen uns besser verstehen, was Csoma in seinem Innersten umtrieb. Im ersten Brief schrieb er:

«Nachdem es mir immer schon eine Freude war, mich mit dem Studium fremder Sprachen zu beschäftigen und die Zusammenhänge von Zeit, Ort und Umgebung in der Geschichte der Völker zu erforschen, habe ich es mir insbesondere zum Ziel gesetzt, mich hauptsächlich in diesen Bereichen weiterzubilden. Die Freude, die ich bei der Entdeckung so vieler Geheimnisse längst verlorener Zeiten empfand, ist unbeschreiblich.»

«Dieses Wissen war mir umso wertvoller, als ich zu der absoluten Überzeugung gelangt bin, dass ich, wenn Gott mich am Leben lässt, innerhalb kurzer Zeit das ausführen und beweisen kann, wonach sich die Anhänger und Freunde unserer und unserer Literatur schon so lange sehnen … die ursprüngliche Heimat unseres Volkes» (zit. nach Fox, 2007, 34-35).

Während der erste Brief als berührende Rechtfertigung seiner Mission gesehen werden kann, ist der zweite, der erst im Falle seines Todes abgeschickt werden sollte, eine Art Vermächtnis an seine Freunde in der Heimat. Darin gab Alexander Csoma preis, wo genau er die Heimat der Ur-Ungaren zu finden hoffte:

«Die alte Heimat unserer Vorfahren», verkündete er, ist «das grosse und das kleine Buchara», … die zum einen in der früheren Sowjetrepublik Usbekistan liegen und zum anderen in Yarkand, nördlich des Hochlands von Tibet» (zit. nach Fox, 2007, 36).

Wie aus diesen Briefen ersichtlich ist, hat Csoma vermutlich geahnt, dass mit der Weiterreise der Punkt ohne Wiederkehr gekommen war. Nach mehr als einem Jahr und vier Monaten unterwegs verliess er Teheran und wagte sich in bis dahin nur wenig bekannte Gebiete vor. Welchen unvorhersehbaren Ausgang diese Reise einmal haben würde, hätte er sich damals wohl selbst in den kühnsten Träumen nicht ausmalen können.

Durch Afghanistan, über den Khaiber-Pass und durch das heutige Pakistan führte der Weg nach Indien. Vom heutigen Punjab aus wanderte Csoma nach Norden, ins Kaschmirtal mit dem alten Handelsplatz Srinagar, zu Füssen der Schneeberge des westlichen Himalaya-Gebirges gelegen. Von hier brach er nach Ladakh auf, von wo er beabsichtigte, weiter nach Yarkand zu reisen. Nach den grünen Tälern in Kaschmir wand sich der Pfad zum Zorji-La Pass hoch (3528 m), wonach die Landschaft immer karger, die Täler zerklüfteter und die nachfolgenden Pässe noch höher wurden. Nach dem dritten Pass, dem 4108 m hohen Fatu-La, ging es in endlosen Serpentinen, vorbei am Kloster Lamayuru, hinunter an den Indus. Stromaufwärts in Richtung Leh, der Hauptstadt Ladakhs, begegnete der Reisende immer wieder Zeugen buddhistischer Kultur, denn Ladakh war damals ein buddhistisches Königreich mit grossen Klöstern und Tempeln verschiedener Epochen.

In Leh angekommen, versuchte Csoma eine Karawane ins nördlich gelegene Yarkand zu finden. Zu seinem Leidwesen wurde er immer wieder abgewiesen, niemand wollte den Fremden mitnehmen. Es war nämlich, wie Fox (2007, 43) erwähnt, für Ausländer verboten, nach Tibet einzureisen. Csoma hatte deshalb keine andere Wahl, als wieder nach Kaschmir zurückzukehren.

Auf dem Weg machte er die zukunftsbestimmende Bekanntschaft mit William Moorcroft, ein abenteuerlustiger Mann, welcher als Veterinär im Dienste der britischen East India Company stand. Auf der Suche nach geeigneten Pferden hatte auch er ohne Erfolg von Leh aus eine Passage nach Yarkand gesucht. Moorcroft und Csoma teilten diesbezüglich dasselbe Schicksal, obwohl sie sonst kaum verschiedener hätten sein können. Moorcroft war mit allem ausgestattet, was das Leben eines Reisenden bequem machte, hatte eine Entourage von Bediensteten und konnte auf die Unterstützung der East India Company zählen. Csoma hatte dagegen kaum das Notwendigste dabei, kam in abgetragenen armenischen Kleidern daher und war völlig auf sich selbst gestellt. Trotzdem freundeten sie sich an und zollten sich gegenseitig Respekt. Moorcroft sah in Csoma das Potenzial, sich über Grenzen hinwegzusetzen, das Unvorstellbare zu wagen, ohne sich über die eigene Befindlichkeit gross zu kümmern. Schliesslich vermochte er ihn dazu zu bewegen, Tibetisch zu lernen, als Schlüssel für weitere Erkenntnisse über die Völker Zentralasiens, mit Aussicht auf das Aufspüren des Ursprungs der ungarischen Sprache. Natürlich hatte der praktisch veranlagte Moorcroft auch das Ziel vor Augen, durch das Entschlüsseln der tibetischen Sprache den Zugang zum weitgehend unbekannten Dach der Welt zu ermöglichen, was für die Engländer von politisch-wirtschaftlichem Interesse war.

«Simple living, high thinking» in Zanskar

Als er Moorcroft begegnete, war Csoma seit seiner Abreise von Siebenbürgen bereits zwei Jahre und neun Monate unter entbehrungsreichen Umständen unterwegs und stand vor einem ungewissen Schicksal. Neben dem Interesse als Forscher waren wohl zum einen die Annehmlichkeiten des täglichen Lebens, welche er in der Gesellschaft von Moorcroft erfuhr, und zum anderen die Wertschätzung des Briten für seine Sprachbegabung und Gelehrtheit nicht zu unterschätzende Gründe dafür, dass sich Csoma auf die Erforschung der tibetischen Sprache einliess. Zudem erhielt er von Moorcroft eine finanzielle Unterstützung und einige Empfehlungsschreiben, was ihm eine gewisse Aussicht auf Erfolg der bevorstehenden Mission verhiess. Als er sich von seinem britischen Wohltäter verabschiedete, hatte er «dreihundert Rupien von Moorcroft bei sich und Empfehlungsschreiben an Tsewang Dhondup, dem … Premierminister von Ladakh, und an den Lama Sangye Phuntsog, dem Abt des Klosters Zangla, einige Tagereisen von Leh entfernt im benachbarten Königreich Zanskar gelegen» (Fox, 2007, 52). Damit wurde Csoma Teil eines Systems, das ihm neben einer gewissen Sicherheit die Freiheit bot, in unbekannte wissenschaftliche Bereiche vorzustossen. Was er damals allerdings nicht wusste, war die Tatsache, dass die Zeit von einem Jahr für die vorgesehene Arbeit nie und nimmer ausreichen würde.

Nach einem neuntägigen Fussmarsch kam Csoma im Kloster Zangla in Zanskar an. Über ein Jahr verbrachten Csoma und der gelehrte Lama Sangye Phuntsog in einer kleinen Zelle unter einfachsten Verhältnissen und studierten über den losen Seiten der umfassenden Büchersammlungen des Kangyur (die «übersetzten Worte Buddhas») und Tengyur (die Kommentare buddhistischer Meister Indiens), welche zusammen über 300 Bände umfassten. Csoma tauchte ein in eine unbekannte Welt, welche ihn in den Bann zog und seinen Forschergeist zutiefst befriedigte. Doch was wertvoll ist, wird im Leben oft nur durch Entbehrungen und besondere Anstrengungen erlangt: «Sie ernährten sich aus einer Art Suppe aus Wasser, Tee, Salz, Yak- oder Schafsblut, Butter und Gerstenmehl. … Im Winter verliessen sie den Raum vier Monate lang überhaupt nicht. Es grenzte an ein Wunder, dass keiner der beiden Männer erfror» (Fox, 2007, 58), zumal in Zangla die durchschnittliche Temperatur im Januar auf – 20° C fallen kann.

Um die Studien in einem angenehmeren Umfeld fortzusetzen, beschlossen sie, sich ins südlich gelegene Hügelgebiet von Himachal Pradesh zu begeben. Leider erschien der Lama zum festgelegten Zeitpunkt nicht am verabredeten Ort, mit der Begründung, dass ihn wichtige Geschäfte zurückgehalten hätten. Etwas ernüchtert kehrte Csoma nach dem Winter, als die hohen Pässe wieder offen waren, nach Zanskar zurück. Diesmal traf er sich mit dem Lama im Kloster Puktal, dessen Gebäude sich unterhalb einer grossen Höhle an eine steil abfallende Felswand schmiegten.

Ansicht des Klosters Puktal, in dessen Höhle sich eine Wasserquelle befindet. (Photo: Timothy A. Gonsalves, 2022)

Mit dem Lama konnte sich Csoma wieder in seine Studien vertiefen, was durch die Abgeschiedenheit des Felsenklosters gefördert wurde, denn es gab kaum Möglichkeiten für Zerstreuungen, welchen der Mensch normalerweise in allen erdenkbaren Formen nachzugehen beliebt. Allerdings hatte der Lama, der für seine Gelehrsamkeit weit herum bekannt war, öfters andere Aufgaben wahrzunehmen, was die Studien immer wieder verzögerte. Zudem waren die äusseren Lebensumstände in Puktal ähnlich schwierig wie beim ersten Aufenthalt in Zanskar im Kloster Zangla, vor allem in den Wintermonaten.   

Es war hier in Puktal, wo ich auf die Lebensgeschichte des ungarischen Forschers gekommen bin. Als ich im Jahre 1978 zum ersten Mal in einem Lastwagen und anschliessend zu Fuss in zehn Tagen durch Zanskar reiste, wurde ich in der Höhle von Puktal überraschend auf einen Stein aufmerksam gemacht, auf welchem der Name «Alexander Csoma de Körös» und die Dauer seines Aufenthalts eingemeisselt war. Meine Überraschung war gross. Wie um alles in der Welt kam es, dass sich ein Ausländer von August 1825 bis November 1826 ins Kloster Puktal zurückgezogen hatte?

Da ich auf der Reise keinem Menschen begegnet war, mit dem ich mich sprachlich hätte verständigen können, und Reiseinformationen weitgehend fehlten – es gab damals keine Reisebeschreibungen und kein Kartenmaterial über dieses hochgelegene, dünn besiedelte Gebiet – überkam mich das Gefühl, mich an einem der abgeschiedensten Orte der Welt zu befinden. In Puktal angekommen, wusste ich, dass der Weg in den nächsten drei Tagen durch unbewohntes Gebiet führen würde, durch Täler mit Schneefeldern und endlosen Geröllhalden, über den Shingo La Pass (5048 m), welcher Zanskar von Himachal Pradesh trennt, und weiter einem schmalen Pfad entlang, der in Darcha auf den Leh-Manali-Highway stiess. Aus der Perspektive des einsamen Wanderers, welcher dem Wohlwollen der lokalen Bewohner und den Launen der Natur ausgesetzt war, schien mir der Aufenthalt von Csoma in Puktal vor 143 Jahren besonders bewundernswert.

Wie Csoma de Körös zum Begründer der modernen Tibetologie wurde

Die ausgiebigste Schaffensperiode von Csoma war anschliessend in den Jahren 1825 bis 1830 im südlich gelegenen Hügelgebiet von Himachal Pradesh, im kleinen Dorf Kanum, zu welchem auch eine Gompa (Kloster) mit einer umfassenden Sammlung tibetischer Schriften gehörte. Hier war es nicht nur angenehmer zu leben und zu arbeiten, es gab zudem die Möglichkeit mit Vertretern der britischen Behörden in Kontakt zu treten. Die Vereinbarung war, dass Csoma die Schaffung einer Grammatik und eines Wörterbuchs der tibetischen Sprache vollenden und die Werke den britischen Behörden zur Verfügung stellen würde. Die Behörden ihrerseits unterstützten Csoma wie bis anhin mit einem monatlichen Honorar, welches ihm ein einfaches Leben und die Bezahlung der Dienste des Lamas ermöglichte.

Alexander Csoma de Körös (1784 – 1842),
gezeichnet vom Maler August Schoefft (1842, Calcutta)

Der Sitz der englischen Behörden, mit welchen Csoma zu tun hatte, war in Sabathu, Himachal Pradesh. Hier residierte Captain Kennedy und war der Mittelpunkt der damaligen besseren Gesellschaft von Offizieren und Vertretern der lokalen Aristokratie. Die Beziehung zwischen Csoma und dem britischen Aussenposten war anfangs schwierig. Als er sich aus Zanskar kommend, abgezehrt und in abgetragenen Kleidern bei Captain Kennedy in Sabathu vorstellte, war die Verwunderung unter den anwesenden Briten gross. Niemand wusste, wer dieser Sonderling war. Zuerst mussten Erkundigungen eingeholt werden, bevor ihm die Bewilligung erteilt werden konnte, seinen Studien im nahe gelegenen Kanum nachzugehen. Dieses Prozedere kränkte Csoma. Er hatte erwartet, dass er nicht wie ein Spion, sondern wie ein angesehener Forschungsreisender und Freund von Moorcroft, dessen Empfehlungsschreiben er bei sich trug, empfangen zu werden. Bis Captain Kennedy sich persönlich von der Integrität Csomas überzeugen konnte und die Bewilligung seiner Vorgesetzten für die weiteren Studien von Csoma erhielt, vergingen einige Monate. Eine Zeit, welche für Csoma schwierig zu ertragen war: «Sein Wort war angezweifelt worden, man hatte seine Zeit verschwendet, und er hatte sich in der Offiziersmesse von Sabathu in der entwürdigenden Gesellschaft zechender Junggesellen bewegen müssen …» (Fox, 2007, 69). Wie froh musste er gewesen sein, als er sich absetzen und in sicherer Entfernung zum britischen Aussenposten seine Studien wiederaufnehmen konnte.

Im ruhigen und klimatisch angenehmen Kanum verbrachte Csoma die nächsten Jahre, fachlich unterstützt durch den gelehrten Lama und mit finanzieller Hilfe der Engländer. Hier vollendete Csoma sein epochemachendes Werk, eine Leistung, welche vom italienischen Tibetologen Petech folgendermassen gewürdigt wurde:

«Let me please put on record here that his dictionary, his grammar and analysis of the Kangyur are still utilized with profit; but what is more important, he was the starting point of an unbroken line of scholars who did research in and on Tibet, and above all who loved Tibet and the Tibetans» (1989, 156).

Es entging den Briten nicht, dass die Arbeit von Csoma nicht nur aus wissenschaftlicher, sondern auch aus politisch-ökonomischer Sicht von Bedeutung war. Seine Studien konnten ihnen dazu verhelfen, den Einfluss ihres Empires auf Tibet auszudehnen. Sie luden deshalb Csoma nach Calcutta ein, wo sie ihm eine Stelle als Bibliothekar in der Asiatic Society anboten. Hier konnte er sein Werk bereinigen und für die Publikation vorbereiten.

Auch in Calcutta blieb Csoma ein Sonderling, der sich meistens in seinem Zimmer mit seinen Schriften beschäftigte, auf dem Boden schlief und kaum Anteil am gesellschaftlichen Leben nahm. Nur wenige Zeitgenossen konnten ihm, wenn auch nur gedanklich, auf seinen Wegen folgen. Diejenigen, welche ihn näher kennen lernten, schätzten die Ernsthaftigkeit und den Eifer, mit welchen er seine Arbeit wahrnahm. Hatte er einmal Vertrauen geschöpft, konnte er sich öffnen und teilte gerne mit, womit er sich beschäftigte. Reverend Dr. Malan schrieb über seine Bekanntschaft mit Csoma:

«I used to delight in his company, he was so kind and so obliging, and always willing to impart all he knew. He was altogether one of the most interesting men I ever met» (zit. nach Duka, 1885, 167).

Späte Ehren und Abschied

Beim Lesen über Csoma und seinen Lebensweg kam er mir manchmal vor wie ein Wesen von einem anderen Stern, der auf dem Planeten Erde gelandet war, um seine einsame Mission zu erfüllen. Er hat zwar nie gefunden, was er gesucht hat, doch mehr erreicht als alle Philologen seiner Zeit: die Erforschung und Entschlüsselung einer unbekannten Sprache und Kultur. Dem engen Vertrauten Dr. Gerard vertraute er einmal an, dass ihn das Beenden seiner Forschungsarbeit zum glücklichsten Mann der Welt machen würde, der im Frieden sterben könne, in der Gewissheit seine Bestimmung erfüllt zu haben (Duka, 1885, 39).

Im Jahre 1834 war das Lebenswerk von Erfolg gekrönt. Die Grammatik und das Wörterbuch der tibetischen Sprache wurden zum Druck gegeben. Csoma wurde am 6. Februar 1834 einstimmig zum Ehrenmitglied der Asiatic Society in Calcutta gewählt.

Schliesslich fühlte sich Csoma nach Abschluss seiner Forschung frei von weiteren Verpflichtungen. Er besann sich wieder auf seine ursprüngliche Mission, nach Yarkand zu reisen, an den vermeintlichen Ursprung seiner Vorfahren. Dafür wollte er über die Hauptstadt Lhasa in Tibet reisen, was er nun dank seiner Tibetisch-Kenntnisse für möglich erachtete. Es sollte jedoch nicht soweit kommen. Nachdem er sich im feuchten Tiefland des Terai mit Malaria angesteckt hatte, erreichte er Darjeeling, eine beliebte Hill-Station der Briten, mitten in Tee-Plantagen gelegen. Hier erlag er dem Fieber und fand seine letzte Ruhestätte. Noch heute kann in Darjeeling fern der Heimat sein Denkmal besucht werden.

Eine Weihe der besonderen Art erhielt Csoma rund hundert Jahre später (1933) durch die Ernennung zum Bodhisattva, in einer feierlichen Zeremonie in der Taisho Buddhist University in Tokio, und die Einweihung seiner Statue in Meditationshaltung (Lussier, 2010). Die Ernennung zum Bodhisattva ehrt insofern den eigentlichen Wesenskern von Csoma, als sein Leben von der Bereitschaft erfüllt war, ein höheres Ziel zum Wohl seiner Mitmenschen anzustreben, ohne dabei auf den eigenen Vorteil und Profit zu achten.   


Literatur

Duka, T. (1885). Life and Works of Alexander Csoma de Körös. A Biography chiefly compiled hitherto from Unpublished Data.  Trübner & Co. https://www.google.ch/books/edition/Life_and_Works_of_Alexander_Csoma_de_Kor/solQmLgTst8C?hl=de&gbpv=1

Fox, E. (2007, 2. Auflage). Der Mann, der zum Himmel ging. Ein Ungar in Tibet. Wagenbach.

Le Calloc’h, B. (1985). Alexander Csoma De Koros, the Heroic Philologist, Founder of Tibetan Studies in Europe. The Tibet Journal, Vol. 10 (3), 30–41. http://www.jstor.org/stable/43300177

Le Calloc’h, B. (1998). Historical Background of Csoma de Körös’s Sojourn in Ladakh (Zanskar) between 1822 and 1826. The Tibet Journal, Vol. 23 (3), 50–68. http://www.jstor.org/stable/43302377

Lussier, M. (2010). The Bodhisattva of Romanticism: Alexander Csoma de Körös and the British “Discovery” of Buddhism. The Wordsworth Circle, Vol. 41 (2), 88–90. http://www.jstor.org/stable/24043601

Petech, L. (1989). Ippolito Desideri, Alexander Csoma de Körös, Giuseppe Tucci. Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae, Vol. 43 (2/3), 155–161. http://www.jstor.org/stable/23657788

Shakspo, N. T. (1985). Alexander Csoma De Koros in Ladakh. The Tibet Journal, Vol. 10 (3), 42–47. http://www.jstor.org/stable/43300178